Was bedeutet das neue Lieferkettengesetz für Unternehmen?
Eingestürzte Textilfabriken, verschmutzte Flüsse, Kinderarbeit. Lange basierte die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards entlang der Lieferkette global agierender Unternehmen auf dem Freiwilligkeitsprinzip. Ein neues Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden bei ihren Zulieferern vorzubeugen. Im Februar 2022 legte die Europäische Kommission den Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz vor. Was dieser beinhaltet und wie Unternehmen im Umgang mit dem neuen Gesetz zum Vorreiter werden können. Ein Überblick.
Das Lieferkettengesetz – Definition
Bisher basierte die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards bei Zulieferern global agierender Unternehmen auf dem Freiwilligkeitsprinzip. Dies führte aus Sicht von Expert:innen für Menschenrechte, Gesellschaft und Politik jedoch nicht zu ausreichenden Ergebnissen. Vor diesem Hintergrund soll das neue Lieferkettengesetz einen rechtlichen Rahmen zum Schutz der Menschenrechte und Umwelt entlang globaler Lieferketten schaffen.
Historie, Status Quo & Ausblick
2019
2020
2021
2022
Das europäische Lieferkettengesetz
Am 10. März 2021 beschloss das Europäische Parlament den Gesetzesvorschlag „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“. Der Vorschlag der Europäischen Kommission folgte am 23. Februar 2022. Über den Kommissionsentwurf wird im nächsten Schritt das Europäische Parlament und der Europäischen Rat beraten. Erfolgt die Erlassung eines europäischen Lieferkettengesetzes, sind die Regierungen der jeweiligen Länder dazu angehalten, diese in nationales Recht umzusetzen. Das hätte zur Folge, dass bereits existierende Lieferkettengesetze wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder das französische Loi de vigilance inhaltlich an die Richtlinie angepasst werden müssen.
Das deutsche Lieferkettengesetz
Am 11. Juni 2021 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Damit sind deutsche Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden zukünftig dazu verpflichtet, menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette zu analysieren, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, Beschwerdemöglichkeiten einzurichten, über diese Aktivitäten zu berichten und sich bei Nichteinhaltung vor den deutschen Gerichten zu verantworten.
Das deutsche und europäische Lieferkettengesetz im Vergleich
Beide Entwürfe zielen grundsätzlich darauf ab, dass Menschenrechte in der Wirtschaft eingehalten und globale Lieferketten transparenter dargestellt werden. Es bestehen jedoch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen in Bezug auf Umfang, Anwendungsbereich und mögliche Konsequenzen für die verpflichteten Unternehmen.
Anders als im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vorgesehen fordert die EU-Kommission, dass alle EU-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von über 150 Millionen Euro ihre Vorprodukte prüfen. Für Unternehmen, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen wie der Textil-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaftsbranche oder in der Gewinnung von Bodenschätzen und Metallen tätig sind, liegt der Schwellenwert bei 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 40 Millionen Euro. Das Gesetz gelte nach gleichem Prinzip für in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen entsprechenden Umsatz innerhalb der EU erwirtschaften. Dieser Vorschlag bezieht sich nicht nur auf die Unternehmen selbst, sondern gilt auch ihre Tochtergesellschaften und die Tätigkeiten von Zulieferern in der Wertschöpfungskette.
Pro und Contra für Unternehmen
Das europäische Lieferkettengesetz würde durch eine europaweite Harmonisierung der Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten mehr Rechtssicherheit für Unternehmen schaffen. Damit würden im europäischen Wettbewerb Nachteile für Unternehmen entfallen, die durch bestehende nationale Lieferkettengesetze entstehen. Auch werden damit Wettbewerbsnachteile für Unternehmen abgebaut, die schon freiwillig in ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement investieren. Jedoch ist es für global agierende Unternehmen mit stark fragmentierten Lieferketten eine enorme Herausforderung, Mängel entlang ihrer gesamten Lieferkette zu identifizieren. Um der unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach dem deutschen Lieferkettengesetz gerecht zu werden sowie sich auf die kommende EU-Richtlinie vorzubereiten, benötigen Unternehmen daher einen ganzheitlichen Überblick über ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen. So können sie gezielte Maßnahmen ableiten, die zudem dazu beitragen, den Anforderungen verschiedener Stakeholder wie Verbraucher:innen, Investor:innen oder NGOs gerecht zu werden.
In dem WifOR-Working Paper im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung „Soziale Standards in globalen Wertschöpfungsstrukturen“ erhalten Sie erstmals Einblicke in die WifOR-Methodik zur Analyse globaler Lieferketten und die sozialen Indikatoren entlang der globalen Wertschöpfungsketten ausgewählter deutscher Unternehmen und Branchen. Das Paper können Sie hier kostenfrei herunterladen: