„Nachhaltigkeit beginnt in der Lieferkette“

SEE-Impact-Studie: Interview mit BVMed-Geschäftsführer Dr. Möll

Die SEE-Impact-Studie des BVMed in Zusammenarbeit mit WifOR ist die weltweit erste Studie über die sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen einer Branche. Erfahren Sie im Interview mit BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll, welche Handlungsempfehlungen sich aus den Ergebnissen ableiten lassen und was dies für Unternehmen der Medizintechnikbranche bedeutet.

Von der Landwirtschaft über das Finanzwesen, bis hin zum Transportsektor: Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist in der heutigen Geschäftswelt allgegenwärtig. Allerdings fällt es Stakeholdern schwer, zwischen leeren Worthülsen und ernsthaftem Nachhaltigkeitsmanagement zu unterscheiden. Hier setzt die SEE-Impact-Studie von WifOR im Auftrag des Bundesverbandes für Medizintechnologie (BVMed) an – die weltweit erste Studie über die sozialen, ökologischen und ökonomischen (eng. „SEE“) Auswirkungen einer gesamten Branche. Im Interview mit BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll erfahren Sie, was ihn dazu bewogen hat, die Studie in Auftrag zu geben und welche Handlungsempfehlungen sich aus den Ergebnissen ableiten lassen.

Die Ziele der SEE-Impact-Studie:

  • Quantifizierung und Darstellung der sozialen, ökologischen und ökonomischen (eng. „SEE“) Auswirkungen der deutschen Medizintechnik-Branche. 
  • Benchmarking der Auswirkungen entlang der gesamten Lieferkette mit anderen Branchen in Deutschland sowie den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs)
  • Förderung evidenzbasierter Nachhaltigkeitsentscheidungen in der deutschen MedTech-Branche durch transparente Auswirkungen der drei Nachhaltigkeitsdimensionen – sozial, ökologisch und ökonomisch.

Wir trafen Dr. Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer des Bundesverbandes für Medizintechnologie (BVMed) zum Interview.

Laden Sie hier die Studie herunter:

SEE-Impact-Studie der deutschen MedTech-Branche

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WifOR: Die Medizintechnik-Branche in Deutschland ist die erste weltweit, die eine „Impact-Studie“ entlang der drei Nachhaltigkeitsdimensionen – sozial, ökologisch, ökonomisch (eng. „SEE“) – in Auftrag gegeben hat. Was war Ihre Motivation als Branchenverband?

Dr. Möll: Die Medizintechnik-Branche hat in ihrer ganzen Bandbreite – von Hilfsmitteln über Implantate bis hin zu digitalen Anwendungen – für die Menschen und ihre Gesundheit einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert. Gleichzeitig stehen wir in der Verantwortung, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, Ressourcen zu schonen, Menschenrechte zu achten und Lieferketten nachhaltiger gestalten. Wir nehmen diese Herausforderung an und wollen Lösungen aktiv mitentwickeln.

Um das tun zu können, benötigen wir eine Evidenzbasierung in der Nachhaltigkeitsdiskussion. Das klingt einfacher, als es ist. Denn es bedeutet, dass wir uns auf Eckpunkte wie Methodologie, messbare Indikatoren, Branchenvergleiche, Diskussionen der Datenverfügbarkeit und eine Nachhaltigkeitsstrategie einigen. Die nun vorliegende SEE-Impact-Studie schafft eine gute Grundlage für eine umfassende Nachhaltigkeitsmessung unserer Lieferkette anhand wichtiger Indikatoren und im Branchenvergleich – und bietet die Möglichkeit, proaktiv die Nachhaltigkeitsdebatte mitzugestalten

SEE-Indikatoren
Indikatoren SEE Impact Studie

Indikatoren-Set der Studie (Quelle: WifOR Institute)

Würden Sie bitte die Meilensteine dieses Pionierprojektes skizzieren?

Dr. Möll: Dazu muss ich zeitlich ein wenig ausholen. Im Dezember 2020 hatten wir im BVMed-Vorstand eine Diskussion über das Thema Nachhaltigkeit. Im April 2021 hat die BVMed-Mitgliederversammlung den Beschluss gefasst, in der Präambel der BVMed-Satzung eine ausdrückliche Erwähnung zum Thema Nachhaltigkeit aufzunehmen. Wörtlich heißt es nun in unserer Satzung: „Der Verband orientiert sich an hohen ethischen Standards, nachhaltigem und umweltgerechtem Wirtschaften.“ Im November 2021 folgte dann die Neukonstituierung des „Fachbereichs Umwelt und Nachhaltigkeit“ innerhalb des BVMed, um einen noch stärken Fokus auf Klimaschutz und Nachhaltigkeitsziele in der Verbandsarbeit zu setzen. Im Frühjahr 2022 haben wir WifOR Institute mit der Nachhaltigkeitsstudie beauftragt und ein wissenschaftliches Institut des BVMed gegründet, das der fachliche Ansprechpartner für WifOR in den letzten Monaten war. 

Am 13. Oktober 2022 hat Professor Ostwald dann die Studienergebnisse auf einer öffentlichen BVMed-Veranstaltung vorgestellt. Wir haben damit ein neues Level der Nachhaltigkeitsdiskussion erreicht: die Ebene der Faktenbasierung. Uns haben in den letzten Wochen viele Anfragen von anderen Verbänden, Einzelunternehmen und anderen Interessierten zu der Studie erreicht. Wir freuen uns auf die weiteren Diskussionen und stehen gern als Gesprächspartner zur Verfügung.

Welche Erkenntnisse konnten Sie aus der SEE-Impact-Studie gewinnen? Gab es Resultate, die für Sie unerwartet waren?

Dr. Möll: Unser erster Eindruck war, dass eine solche Analyse sehr viel mehr leisten kann, als allgemein vermutet werden kann. So hat die Studie für über 188 Länder und verschiedene Branchen die vorgelagerten Lieferketten und die Wertschöpfung berechnen können. Dafür wurde nicht nur die totale Emission beispielsweise von Treibhausgasen ermittelt, die auf die wirtschaftliche Aktivität der Medizintechnik-Branche zurückgeht, sondern wir haben darüber hinaus auch Analysen bekommen, in welchen Ländern welche Emission anfällt. Und wir können sehen, was bei direkten Zulieferern oder später in der globalen Lieferkette verursacht wird. Das sind auch politisch wichtige Erkenntnisse. 

Im Ergebnis können wir zeigen, dass die Medizintechnik-Branche eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Gesamtwirtschaft in Deutschland aufweist. Gleichzeitig wird das noch existierende Potenzial an ökologischen und sozialen Indikatoren aufgezeigt, bei denen die Branche zusätzliche Schritte unternehmen sollte, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.

Dr. Marc-Pierre Möll
Geschäftsführer BVMed
Wir stehen in der Verantwortung die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, Ressourcen zu schonen, Menschenrechte zu achten und Lieferketten nachhaltiger zu gestalten.

Sie erwähnten Potenzial für Verbesserungen. Wie können die Ergebnisse der Studie die MedTech-Branche beeinflussen?

Dr. Möll: Wir sehen die Studie als einen ersten großen Schritt und als Grundlage für die Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie im Verband. Wir können jetzt Gesetzgebungsverfahren auf europäischer und nationaler Ebene informiert und faktenbasiert begegnen, da wir den ökonomischen, sozialen und ökologischen Fußabdruck der Branche kennen. Das wird uns beispielsweise bei den Diskussionen um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und weitere Verordnungen und Richtlinien, die aus dem „Green Deal“ der Europäischen Kommission folgen, helfen. 

Dazu bietet die WifOR-Studie einen grundlegenden Baustein für Unternehmen, um Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen zu identifizieren, zu vermeiden oder zu minimieren. Die Analyse ermöglicht es, Stärken aber auch Schwächen entlang der globalen Lieferkette zu erkennen und Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln.

Erwarten Sie, dass andere Branchen der Pionierarbeit der deutschen MedTech-Branche folgen werden? Welche Auswirkungen hätte dies? 

Dr. Möll: Wir ebnen mit der Studie einen Weg für viele Unternehmen, Verbände und Branchen, um ihrer ökologischen und sozialen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Es liegt nun an den Unternehmen und anderen Branchen, diesen Schritt zur Erfüllung ökologischer und gesellschaftlicher Aufgaben zu gehen.

Welche Empfehlung würden Sie anderen Branchen oder Verbänden geben, die ebenfalls eine SEE-Impact-Studie umsetzen möchten?

Dr. Möll: Wir müssen uns als Wirtschaft der Verantwortung stellen, Nachhaltigkeit auch im Sinne der Sorgfaltspflicht zu gestalten. Dazu braucht es auch die Bereitschaft, mögliche Herausforderungen wie Kinderarbeit in der tiefen Lieferkette transparent zu machen und anzugehen. Nicht zuletzt braucht es dafür immer auch eine Portion Mut! 

Blaupause für andere Unternehmen und Branchen

Die SEE-Impact-Studie unterstützt die deutsche Medizintechnik-Branche bei der Aufgabe, gezielte Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln und in Zukunft negative ökologische und soziale Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten zu minimieren. Dies ist ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg, ihre Geschäftspraktiken weltweit mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) in Einklang zu bringen.

Die Methodik der SEE-Impact Studie basiert auf der Definition des Medizintechniksektors gemäß der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seit über einem Jahrzehnt nutzt. Sie steht zudem im Einklang mit den Arbeiten der WHO, der G20, sowie den Standards der Value Balancing Alliance (VBA). Auf Basis dieser Ergebnisse können gezielt Missstände in der Lieferkette analysiert sowie die darin verorteten Hotspots adressiert werden. Die Anwendungsbereiche des Ansatzes sind dabei nicht auf die Medizintechnik-Branche beschränkt. Ebenso kann das Potenzial im Nachhaltigkeitsbereich anderer Bereiche der (industriellen) Gesundheitswirtschaft oder aber in der medizinischen Versorgung sowie weiteren Branchen aufgezeigt werden. Dieses methodische Vorgehen soll zukünftig daher als universelle Blaupause für andere Unternehmen und Branchen dienen.