Prävention statt Reaktion: Warum sich Investitionen in Impfprogramme auszahlen
Impfungen zählen zu den wichtigsten Errungenschaften der Präventivmedizin. Keine andere Gesundheitsmaßnahme bewahrte im Laufe der letzten 200 Jahre so viele Menschen vor dem Tod. In diesem Artikel erhalten Sie einen Überblick über die Geschichte des Impfens, strategische Ansätze zur Impfmotivation und welche Auswirkungen Impfen auf die gesamtgesellschaftliche Situation hat.
Die Geschichte der Impfung
Die Geschichte der Schutzimpfung beginnt mit dem Kampf gegen die Pocken. Die bereits seit dem 7. Jahrhundert wütende Virusinfektion hatte im Laufe der Jahrhunderte Millionen Menschenleben gekostet. Noch im 18. Jahrhundert starben besonders Babys und Kleinkinder an dem pustelartigen Ausschlag. Immer wieder scheiterten Versuche, Pockenerkrankte zu immunisieren. Der wissenschaftliche Durchbruch gelang schließlich dem englischen Landarzt Edward Jenner im Jahr 1796, der einen Jungen über einen Schnitt in den Oberarm mit dem verwandten Kuhpocken-Virus infizierte. Was aus heutiger Sicht als unethisches Experiment zu werten ist, markierte die Geburtsstunde der ersten Schutzimpfung. Ein Bekannter Jenners, Richard Dunning, prägte daraufhin um die Jahrhundertwende den Begriff Vakzination – nach dem lateinischen Wort „vacca“ für Kuh.
Im 20. Jahrhundert führten die Erfahrungen mit der Pockenimpfung und die Entdeckung von Krankheitserregern zur Entwicklung weiterer Impfstoffe. Hier zu nennen sind allen voran die Wissenschaftler Louis Pasteur und Robert Koch. Pasteur gilt als der Erfinder der Tollwutimpfung. Gemeinsam mit Koch entdeckte er außerdem den Erreger des Milzbrandes, gegen den sie ebenfalls einen Impfstoff entwickeln konnten. Zu weiteren Meilensteinen in der Geschichte des Impfens zählen die Entdeckung von Impfstoffen gegen Diphterie und Tetanus durch Emil von Behring und Paul Ehrlich.
Diese bahnbrechenden Entwicklungen führten dazu, dass Impfungen mittlerweile zu den erfolgreichsten Gesundheitsmaßnamen überhaupt zählen. Die letzten Pockenfälle wurden Mitte der 1970er-Jahre gemeldet, 1979 erklärte die WHO die Krankheit für ausgerottet. Heute schützen Impfungen vor vielen Krankheiten und retten Schätzungen zufolge weltweit jährlich drei Millionen Menschenleben.
Strategische Ansätze zur Erhöhung der Impfmotivation
Auch wenn Impfungen zu den erfolgreichsten Gesundheitsmaßnamen zählen, können Gründe wie etwa Skepsis, Angst oder der Mangel an Informationen dazu führen, dass sich Menschen nicht impfen lassen möchten. Zur Verbesserung der Impfmotivation gibt es daher unterschiedliche Ansätze – von alternativen Applikationsformen bis hin zu humanoiden Robotern.
Alternative Applikationsformen
In einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2018 gaben 6 Prozent der Teilnehmer:innen an, Angst vor Spritzen zu haben. Diese Angst kann mithilfe alternativer Applikationsformen umgangen werden. Bereits heute kommen einige Impfungen ohne Nadel aus. Es existiert beispielsweise seit einigen Jahren ein Impfspray gegen Grippe und weitere Applikationsformen wie Mikronadel-Pflaster werden getestet.
Humanoide Roboter
Um der Angst vor der Impfung bei Kindern entgegenzuwirken, wird der Einsatz humanoider Roboter, die die Kinder von der Impfung ablenken, untersucht. Studien zeigen, dass damit Stress sowie Schmerzen reduziert werden können.
Motivational Interviewing (MI)
Die motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) kann eine erfolgreiche Maßnahme sein, wenn Personen eine Impfung aufgrund von Fehlannahmen oder Mangel an Informationen ablehnen. Im Rahmen des MI werden in einem Gespräch Bedenken und Ambivalenzen der Patient:innen gezielt adressiert und bestehende Sorgen durch Aufklärung gemindert. So sollen Personen intrinsisch motiviert werden.
Nudging
Nudging stellt eine Technik dar, die die Entscheidungsarchitektur beeinflusst, um das Verhalten von Personen in eine bestimmte Richtung zu „stupsen“ (engl.: „to nudge“). Im Kontext von Impfungen haben verschiedene Studien gezeigt, dass ein Mehr an Informationen, die zum Beispiel auf besonders gefährdete Personengruppen oder die begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoffen hinweisen, die Impfquote erhöhen kann.
Impfbesuche
In einigen Fällen erschwert auch die körperliche Verfassung den Gang zum Arzt. Aufgrund dessen können sich Versicherte mancher Krankenkassen, die aufgrund eines Pflegegrades oder einer Gehunfähigkeit nicht in der Lage sind, selbstständig eine Arztpraxis aufzusuchen, auch Zuhause impfen lassen.
Hintergrund: Investitionen in Impfprogramme
Die Europäische Union investiert etwa 8,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Gesundheitsausgaben, wovon lediglich 3 Prozent auf den Bereich der Prävention entfallen. Obwohl moderne Impfungen als eine der effektivsten Maßnahmen der Primärprävention gelten, entfällt darauf nur ein geringer Anteil.
In Deutschland empfiehlt die STIKO, welche Impfungen von hohem Wert für den Gesundheitsschutz des Einzelnen und der Allgemeinheit sind, um übertragbaren Krankheiten vorzubeugen. Ihre Empfehlungen stützt sie weitestgehend auf die Ergebnisse medizinischer Nutzen-Risiko-Bewertungen. Darüber hinaus sieht die Standardvorgehensweise (SOP) in bestimmten Fällen zusätzlich epidemiologisch-methodische Modelle (EM) und gesundheitsökonomische Evaluationen (GE) vor, um zukünftige Effekte zu modellieren und die effizienteste Impfstrategie zu bestimmen. Solche methodischen Modelle und gesundheitsökonomischen Evaluationen entsprechen in Deutschland zwar bisher nicht der Standardvorgehensweise des RKI, bestimmen jedoch routinemäßig die Empfehlungen der meisten Impfkomitees in Europa. Dies hat zu einer lebhaften Diskussion über die Methodik dieser epidemiologisch-methodischen Modelle und gesundheitsökonomischen Evaluation geführt.
Die Diskussion wird vor allem von der Forderung angetrieben, den bestehenden Rahmen, der sich oft auf direkte medizinische Effekte beschränkt, zu erweitern. Nur so kann der gesellschaftliche Wert von Impfstoffen berücksichtigt werden. Denn neben den direkten medizinischen Effekten haben Impfungen weitere Nutzendimensionen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sinne.
Ökonomische Auswirkungen von Impfungen
Neben der Tatsache, dass Impfungen durch Immunität und geringere Ansteckung die Gesundheit des Einzelnen und der Gesellschaft schützen, wird durch verschiedene Mechanismen auch das ökonomische Wachstum beeinflusst. So sind durch die verbesserte Gesundheit dank Impfungen weniger Krankheitstage zu verzeichnen, was sich in bezahlte sowie unbezahlte Arbeit umrechnen und monetarisieren lässt. Vorschläge zu den zu berücksichtigenden Nutzendimensionen fordern daher beispielsweise die Einbeziehung von Produktivitätseffekten der betroffenen Personen, der potenziellen Betreuer:innen, Wirtschaftswachstum oder Aspekte der sozialen Gerechtigkeit. Nur bei Berücksichtigung entsprechender Nutzendimensionen könne der tatsächliche Wert von Impfungen ermittelt werden.
In der Studie „Social Impact of Innovative Medicines“ erhalten Sie unter anderem Einblicke in aktuelle Analysemethoden sowie den Social-Impact-Ansatz: